Ein Stern über dem Sinai

Ein Stern über dem Sinai

Anna wurde als Baby in England adoptiert. An ihrem 20. Geburtstag erfährt sie, wer ihre leiblichen Eltern sind und dass ihre Mutter bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen ist. Anna erhält einen Koffer mit Dingen, die ihrer leiblichen Mutter gehört haben und macht sich auf die Suche, ihre Mutter kennenzulernen. Ihre Reise führt Anna in den Sinai, wo ihre Eltern vor dem Tod ihrer Mutter gelebt und als Tauchlehrer gearbeitet haben. Anna lernt die farbenfrohe Unterwasserwelt des Roten Meeres und die Schönheit der Sinai Wüste kennen und trifft ihre erste Liebe. Anna gräbt immer weiter in der Vergangenheit und stösst auf ein gefährliches Geheimnis. Kann es sein, dass ihre Mutter gar nicht bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen ist? Als Anna herausfindet, wie ihre Mutter wirklich gestorben ist, bringt sie sich selber in grosse Gefahr.


Leseprobe

NADIM

 

Nadim war ziemlich sauer auf seinen Onkel. Wo immer Not

am Mann war, er musste einspringen. Samah hätte doch diese

englische Göre auch selber abholen können, schliesslich kam er,

Nadim, gerade eben von einem langen Tag auf dem Meer zurück

und wollte nach Hause, duschen und sich vor den Fernseher legen.

Aber da war er jetzt an der Bushaltestelle und wartete auf den Bus

aus Kairo, der wie immer Verspätung hatte. Zum Glück hatte sich

Nadim noch eine kalte Cola mitgenommen. Er setzte sich in den

VW Bus, lies die Klimaanlage laufen und wartete.

„Anna Smith?“ Anna suchte gerade ihren Rucksack aus dem Gepäck

und streckte ihre Beine und Arme nach der langen Fahrt im Bus, als

sie ihren Namen hörte. Wie konnte das sein, sie musste sich geirrt

haben. Aber nein, als Anna sich umdrehte, sah sie einen jungen,

ihr fremden Mann mit einem Schild aus Pappe in der Hand. Auf

dem Schild stand ihr Name. Langsam ging sie auf den Mann zu.

Er durfte etwa in ihrem Alter sein, vielleicht ein wenig älter, hatte

schwarzes gelocktes Haar und dunkle Augen.

Nadim schaute Anna an. Da sie die einzige Europäerin war, die aus

dem Bus stieg, war es nicht allzu schwer sie zu erkennen.

„Hallo, du bist Anna? Willkommen in Sharm-el-Sheikh. Mein

Onkel hat mich gebeten, dich abzuholen. Er ist ein alter Freund

von Achmed Madi.“ Der gute Achmed. Er hatte also dafür gesorgt,

dass sie abgeholt wurde. Wenn Anna an die vielen Taxifahrer vom

Flughafen in Kairo dachte, war sie doch sehr froh darüber.

„Ich bringe dich ins Hotel, wenn’s recht ist. Ich bin übrigens

Nadim.“ Er streckte Anna die Hand hin und nahm ihr den

Rucksack ab.

Nadim führte Anna zu seinem VW Bus. Er hielt ihr die Türe auf,

verstaute ihre Sachen im Gepäckraum und setzte sich ans Steuer.

Anna stieg ein und schweigend fuhren sie die Strasse entlang. Anna

war ganz erstaunt, als sie sich der Naama Bay näherten. Es war

unterdessen schon fast dunkel geworden und die Lichter der Stadt

sahen aus, als ob eine Oase aus der Wüste ragen würde. Überall auf

der rechten Seite die Lichter von Strassenlaternen, Hotels, Autos,

Geschäften, alles hell erleuchtet und wenn sie auf die linke Seite

blickte, nichts als das Dunkel der Wüste. Zuerst fuhren sie eine

Weile über den Highway bis sie an einer Kreuzung rechts abbogen

und in das Innere der Stadt gelangten. Hier säumten orientalische

Geschäfte die Strassen und Touristen bummelten durch die

beleuchteten Gassen. Durch die Dunkelheit war es jetzt auch etwas

kühler geworden und Nadim öffnete die Fenster des Busses. Die

warme Wüstenluft umwirbelte Annas Gesicht und trug sie in eine

andere Welt.

Mitten in einer belebten Fussgängerzone, hielt Nadim den Bus

an und liess Anna aussteigen. Als er ihr den Rucksack in die Hand

drückte, schaute er sie zum ersten Mal richtig an. Er war ein

Experte, was Mädchen anging. Als Tauchlehrer war er ja jeden Tag

mit schönen Frauen zusammen und es kam selten vor, dass er ein so

schönes Mädchen erst auf den zweiten Blick bemerkte. Sie hatte ihr

langes dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden

und mehrere Strähnen fielen ihr wirr ins Gesicht. Als sie aufblickte

und sich ihre Blicke trafen, lag etwas elektrisierendes in der Luft

und als sie sich lächelnd bei Nadim bedankte, war sein ganzer Ärger

darüber, dass er noch nicht zu Hause vor dem Fernseher sass, wie

weggeblasen. Aber Anna drehte sich schon um, winkte ihm noch

kurz zu, öffnete die Eingangstür und war im Hotel verschwunden.

Nadim stand noch einen Moment da und überlegte, ob er ihr

folgen sollte. Dann drehte er sich um, setzte sich in den Bus und

düste davon. Er hatte heute noch etwas vor!

Anna betrat die Eingangshalle des Hotels. Das Hotel war im

gesäumt und durch weisse Torbogen blickte Anna zum hinteren

Teil des Hotels. Der ganze Hotelbau bestand aus kleinen,

einstöckigen, weissen Bauten mit runden Dächern, in denen sich

die Zimmer befanden. Im Haupthaus befand sich ein Restaurant.

Im Innern des Hotels hatte man einen Innenhof angelegt, in dessen

Mitte sich eine Bar und eine offene Feuerstelle befanden.

Verbunden waren die einzelnen Gebäude mit Torbogen und

verschiedenen Treppen. Als Anna etwas besser hinschaute,

erkannte sie, dass auf den Dächern einiger der Gebäude, bunte

Teppiche lagen und Leute in diesen Nischen sassen und etwas

tranken. Es war jetzt schon ganz dunkel und die Beleuchtung

war schummrig, so dass die ganze Anlage wirkte wie in tausend

und einer Nacht. Über ihr der Sternenhimmel, die kuppenartigen,

weissen Gebäude und die warme Wüstenbriese. Anna kam sich vor

wie im Märchen. Sie war in einer anderen Welt angekommen. In

einer Welt, die ihr fremd war, die sie aber in ihren Bann zog und

 

sie überwältigte.