Die Farben meines Herzens

Neuerscheinung! Die Geschichte von Samira aus "Deine Farben an meinem Himmel" geht weiter.
Ab Dez. 2025 überall wo's Bücher online gibt. 

Die Farben meines Herzens

 

Tristan reisst nach Ägypten, um seine Schwägerin Samira zu treffen und seinen Neffen mit sich in die Schweiz zu nehmen. Als er Samira, eine einstige Heilerin, gefangen in der Trauer um ihren verstorbenen Mann vorfindet, muss auch er sich seiner Vergangenheit stellen. Erst recht, als die geheimnisvolle Maddy in seinem Leben auftaucht und ihm ihre Lebensgeschichte erzählt. Mehr und mehr merkt Tristan, dass es nicht bloss eine Geschichte ist. Was Maddy aus ihrem Leben erzählt, hat mit ihm zu tun. Es geht darum loszulassen, zu verzeihen und zu erkennen, wie grossartig jeder einzelne Mensch ist.
Eine bewegende Geschichte über Trauer, Liebe und die Kraft, neu anzufangen.

Leseprobe

Tristan

«Würden Sie sich bitte hinsetzen und anschnallen? Wir werden in Kürze ein turbulentes Gebiet überfliegen», meinte die Flugbegleiterin höflich und versuchte Tristan auf seinen Sitz zurückzuschieben. Die anderen Gäste schauten teils betreten, teils genervt zu ihnen hinüber. Tristan bemerkte es kaum. Er hatte sich seit dem Abflug einige Drinks genehmigt und richtete seine Aufmerksamkeit lieber auf die schönen, langen Beine der jungen Frau vor sich.
«Wie wäre es, wenn du dich hier neben mich auf den leeren Sitz setzt und wir uns ein bisschen näher kennenlernen?», fragte Tristan mit einem charmanten Lächeln. Zurückweisend schüttelte die Flugangestellte den Kopf und bat Tristan nochmals höflich, sich anzuschnallen und sitzen zu bleiben.
«Dann gib mir wenigstens noch einen von diesen Drinks», lallte Tristan laut. «Der schmeckt zwar wie Seife, aber etwas Anständiges kann man auf diesem Flug wohl nicht erwarten.» Tristan machte eine kurze Pause und fuhr dann in schmeichelndem Ton fort:
«Du siehst in deiner Uniform übrigens sexy aus. Habe ich dir das schon gesagt? Nur deine Strümpfe sind ein wenig bieder, wenn du mich fragst». Er lachte unverschämt über seinen eigenen Scherz, womit er erneut böse Blicke seiner Mitreisenden auf sich zog.
«Bitte, setzten Sie sich hin und schnallen Sie sich an. Ich werde Ihnen einen Kaffee bringen», meinte die Flugbegleiterin streng und verdrückte sich in der Hoffnung, der Gast würde sich an ihre Anweisungen halten.
Als Tristan sich umschaute, entdeckte er zwei Reihen hinter sich eine attraktive Blondine. Er liess sich auf seinen Platz plumpsen und drehte sich so gut es ging in seinem Stuhl um. Er winkte ihr über die Köpfe der anderen Passagiere zu. Die blonde Frau senkte ihren Blick und beachtete Tristan nicht weiter. Tristan war zwar ein bisschen berauscht, aber er war nicht so betrunken, als dass er eine Abfuhr nicht erkannt hätte. Schmollend drehte er sich um. Als ihm dann auch noch ein stattlicher, aber männlicher Flugbegleiter einen Kaffee reichte, konnte er zwei und zwei zusammenzählen. «Bruchlandung», murrte er vor sich hin. Er wandte sich dem Fenster zu und betrachtete die Wolken. Er dachte an Dillan. Es war fast zwei Jahre her, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Ob sich Dillan an ihn erinnern würde? Dillan war damals noch ein kleiner Junge. Jetzt war er beinahe fünf. Tristans Eltern erzählten ihm oft von den Anrufen, die sie mit dem Jungen und seiner Mutter Samira, wöchentlich führten. Aber Tristan war nicht der Typ zum Telefonieren. Entweder man war da oder dann halt nicht, das war seine Devise. Tristan wusste, dass die telefonische Verbindung zu ihrem Enkel, vor allem für seine Mutter Mirka, wichtig war. Den Jungen regelmässig auf dem Bildschirm zu sehen und sich mit ihm auszutauschen, half ihr über die Trauer hinweg. Wenigstens ein bisschen. Dillan war der Grund, weshalb Tristan überhaupt hier im Flugzeug sass. Wenn Mirka von Dillan erzählte, glänzten ihre Augen und es war nicht schwer zu erkennen, wie sehr er ihr fehlte. Dillan und Aidan. Es war gut, dass Tristan sich einsetzte und für Ordnung sorgte. Das war der Plan. Sein Auftrag. Er flog nach Sharm-el-Sheikh und in wenigen Tagen würde er, zusammen mit seinem Neffen, im Flugzeug in die Schweiz sitzen. Samira würde es verstehen. Ein besseres Leben für Dillan. Eine gute Ausbildung, gleichaltrige Freunde, körperliche und geistige Förderung. Das war es, was gut für das Kind war.

Knappe zwei Stunden später öffnete Tristan die Augen. Das Flugzeug schwankte und sie hatten den Sinkflug nach Sharm-el-Sheikh begonnen. Erstaunt blickte er sich um. Er musste eingeschlafen sein. Eine Decke lag über seinen Beinen. Ob die hübsche Stewardess ihn zugedeckt hatte? Wusste er doch, dass er mit seinem Charme jede Frau um den Finger wickeln konnte! Er lächelte selbstgefällig und blickte aus dem Fenster. Unter sich sah er das rote Meer, dessen Farben von dunklem Blau bis ins ganz helle Türkis wechselten. Das Wasser glitzerte im Sonnenschein. Tristan zog es bei dem Anblick schmerzhaft das Herz zusammen. Bilder tauchten vor seinen Augen auf. Seine Mutter, die gejubelt hatte. Sein Bruder Aidan, der neben ihm sass, sein Gesicht so weiss wie eine Wand, und versuchte so zu tun, als würde er sich freuen. Tristan schüttelte diese Gedanken ab. Er wollte sich nicht erinnern, nie mehr!

 

Der Flughafen war schon fast leer, als Tristan sich dem Gepäckband näherte. Er hatte keine Lust gehabt, sich ins Gedränge der Leute zu mischen. Wartend hatte er sich auf eine Bank gesetzt, bis der Ansturm auf die Gepäckstücke abgenommen hatte. Die Wände in der Wartehalle waren mit Fischen aus Mosaikstücken verziert. Bunte Szenen einer Unterwasserlandschaft. Fische in den fröhlichsten Farben. Tristan gingen sie auf die Nerven. Er war nicht zum Spass hier. Er musste sich fokussieren, wenn er bald wieder im Flugzeug nach Hause sitzen wollte. Jetzt wünschte er sich nur, schnellstmöglich in sein kühles Hotelzimmer zu kommen und sich einen Drink zu genehmigen. Den hatte er sich nach den Strapazen der Reise verdient.
Er trat auf das Gepäckband zu. Die anderen Reisenden drängten sich bereits zur Ausgangskontrolle. Der Warteraum war fast leer. Zwei Flughafenangestellte standen herum und unterhielten sich. Auf dem Gepäckband drehten zwei schwarze Lederkoffer und eine bunte Tasche ihre Runden. Von Tristans Gepäck war nichts zu sehen. Mist, dachte Tristan. Er wartete noch ein paar Minuten, um sicher zu gehen, dass keine weiteren Koffer durch die Ladelücke kamen, als eine ältere Frau neben ihn trat.
«Wartest du auch auf deine Sachen?», fragte sie, obwohl das ja ziemlich offensichtlich war.
«Ja», brummte Tristan genervt. Er war müde und sein Kopf brummte. Die Frau streckte ihm unerwartet die Hand entgegen und lächelte ihn freundlich an.
«Ich bin Maddy», stellte sie sich vor. «Scheint, als hätten wir beide dasselbe Problem. Mein Koffer hat den Weg auch nicht geschafft.» Die Frau lachte. Sie war alt, klein und etwas beleibt. Sie trug einen farbigen Rock in der Art, wie man ihn eher in Indien als in Ägypten erwarten würde. Um den Hals trug sie eine bunte Steinkette. Ein farbiges Tuch im Haar vervollständigte ihr sonderliches Outfit. Tristan war klar, von dieser Art Menschen musste er sich fernhalten, wenn er sie nicht an der Backe haben wollte. Demonstrativ wandte er sich dem Gepäckband zu. Die Alte liess ihre Hand sinken, schien aber von Tristans Ablehnung nicht sonderlich berührt. Lächelnd deutete sie auf einen Flughafenangestellten und bot Tristan an, dass sie sich gemeinsam um das verschwundene Gepäck bemühen könnten. Wenig erfreut blickte Tristan auf das Förderband und folgte der Alten widerwillig. Sie erklärten dem Sicherheitsangestellten, dass ihr Gepäck leider nicht aufzufinden sei. Als der junge Mann ihr Anliegen verstanden hatte, eilte er davon und erschien bald in Begleitung von zwei weiteren Sicherheitsbeamten wieder. Gemeinsam berieten sie, was zu tun sei. Eine halbe Stunde später hatten sie die nötigen Formulare ausgefüllt und alle Angaben zu ihren Gepäckstücken schriftlich festgehalten. Sie wurden gebeten, auf einer Bank Platz zu nehmen, damit die restlichen Formalitäten geklärt werden konnten. Gereizt liess sich Tristan auf die Bank sinken. Er hoffte inständig, dass die Alte sich die Beine vertreten oder, seinetwegen, aus dem Fenster schauen würde. Wenn sie nur endlich aus seinem Blickwinkel verschwand. Sie hatte ihn mit ihrem dümmlichen Geplapper schon genug Nerven gekostet. Tristans deutliche Unhöflichkeit ihr gegenüber, störte sie nicht im Geringsten. Einladend trat sie zu ihm.
«Wollen wir uns da drüben in das Café setzen und uns einen Tee genehmigen?», fragte sie liebevoll. «In Ägypten kann «ein Moment» schon mal zu einer Stunde Wartezeit werden. Hast du Durst?»
Tristan überflog seine Möglichkeiten. Seine Zunge war von dem Alkoholkonsum ausgetrocknet und er sehnte sich nach einer kalten Cola. Notgedrungen folgte er Maddy in das kleine Flughafencafé. Er setzte sich betont desinteressiert auf einen Stuhl und wartete auf die Getränke. Ausser ihnen war der Flughafen menschenleer. Nur eine Frau, die einen langen Rock und ein Kopftuch trug, wischte den Boden. Das Sicherheitspersonal stand gelangweilt beim Ausgang. Von den Männern, die ihre Gepäckstücke suchten, war keine Spur zu sehen.
Nachdem Maddy genüsslich einen Schluck ihres Tees getrunken hatte, zeigte sie auf die Bilder an der Wand und fragte:
«Sind die Fische nicht wunderhübsch?» Tristan, der keine Lust auf ein Gespräch über Unterwassertiere hatte, nickte kaum sichtbar. Seine Unfreundlichkeit schien Maddy nicht aufzufallen. Unbeeindruckt fuhr sie fort:
«Du solltest dir diese Fische unbedingt in Wirklichkeit ansehen. Sie sind einfach traumhaft. Das rote Meer ist eines der schönsten Meere auf der ganzen Welt. Die Farbenpracht der Fische ist einfach umwerfend. Du hast doch vor, es dir anzusehen, oder?» Gespannt blickte Maddy Tristan an. Als Tristan sie nur düster anstarrte, fügte sie hinzu:
«Oder magst du lieber Sonne tanken und ausspannen?» Geduldig wartete Maddy auf seine Antwort, bis er schliesslich genervt brummte:
«Ich bin nicht zum Spass hier. Ich habe einen Auftrag. Eine Familiengeschichte.»
«Einen Auftrag? Das klingt ja spannend». Jetzt hatte er Maddys Interesse erst richtig geweckt. Bevor sie weitere Fragen stellen konnte, legte Tristan ein paar Scheine auf den Tisch und erhob sich.
«Ich schaue mal nach, ob ich den Typen von vorhin wiederfinde, damit wir endlich hier rauskommen», brummelte er und ging davon. Maddy schaute ihm amüsiert nach. Genüsslich trank sie den letzten Schluck ihres Tees und folgte Tristan dann zurück zur Gepäckausgabe. Sie fand ihn, wie er unschlüssig in der grossen Halle stand. Als sie sich zu ihm gesellte, kamen auch gerade die Sicherheitsleute durch die Tür. Sie erklärten, dass ihr Gepäck wieder aufgetaucht sei. Aus unerklärlichen Gründen habe es bei der Sortierung der Koffer eine Verwechslung gegeben, die sich jetzt aber doch noch geklärt habe.